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Forum für emanzipatorische Kulturpolitik
Am 19. November fand im Anschluss an und bezugnehmend auf die Lesung von Elena Messner ‚Nebelmaschine‘ das Forum für emanzipatorische Kulturpolitik statt. Corona bedingt wurde die Veranstaltung vom Musil Haus in den virtuellen Raum verlagert, wo die Teilnehmer*innen – von den Organisatorinnen allesamt als ‚zentrale Stimmen des Diskurses‘ angesehen – ihre persönliche Stellungnahme zum aktuellen Tatsachenbestand in Sachen Gleichberechtigung und Inklusion in der Kärntner Kunstszene präsentiert haben. Von persönlichen Standpunkten ausgehend, wurde die Position von Frauen in der K. Kultur- und Theaterlandschaft diskutiert, sowie eigenreflektiert, die Nachhaltigkeit von gesellschafts- und politikkritischen Aktionen und Veranstaltungen eruiert.
Ein Dank unsererseits für die sinnvolle und zukunftsweisende Initiative geht an die Veranstalterinnen Elena Messner, Eva Schörkhuber und Alina Zeichen sowie an die Unterstützer*innen von KD Barba.
Nachfolgend der Beitrag von Andrea K. Schlehwein.
Was wäre wenn...?
Wenn ich ins Stadttheater Klagenfurt ginge und ein Theaterstück von Sarah Kane, von Dea Loher oder Elfriede Jelinek anschauen könnte? Oder in ein Konzert ginge, in dem auch Werke von Galina Ustvolskaya, Sofia Gubaidulina oder Chaya Czernowin zu hören wären? Wenn es, wie unter dem neuen Ballettchef an der Wiener Staatsoper Martin Schläpfer zuletzt in Düsseldorf geschehen, eine Uraufführung einer Komponistin wie Adriana Hölzky zu hören gäbe und dazu ein zeitgenössisches Ballett des hauseigenen Tanzensembles zu sehen wäre? Was, wenn eine Oper von Olga Neuwirth in Klagenfurt inszeniert würde?
...und bei all dem hier habe ich noch keineUtopie ins Feld geführt, die eine Regisseurin oder Dramaturgin ins Auge gefasst hätte. Ich habe lediglich eine kleine, qualitative Aufzählung begonnen, die wie eine Lawine ins Tal rollen und Erstaunen wie Interesse, Diskursbereitschaft und Begeisterung bei unserem neugierigen, oft unterschätzten Kärntner Publikum mit sich bringen würde. Eine Lawine, die ebenso unmissverständlich wie selbstverständlich eine geballte Portion weiblichen Kunstschaffens enthielte und mehr als hundert Jahre später, einen Appell von Nadja Boulanger als überkommene Anekdote ins Archiv befördern würde, die da in etwa lautet: ‚Vergessen wir, dass ich eine Frau bin und sprechen wir über Musik‘.
Was wäre, wenn eine designierte Intendantin an der Wiener Volksoper - wie Lotte van Beer - nicht schon im Vornhinein von der Presse angegriffen würde, wo ihr Kollege Kay Voges mit seinem arg bemühten Spielplan vom selben Journalisten wenige Tage später weitaus respektvoller behandelt wurde?
Doch genauso übrigens, packen wir uns an die eigene Nase, hatten wir in Kärnten den Fall, wo - der neue Intendant am Stadttheater Klagenfurt - einen zwar uninspirierten aber nicht „patriarchalen Spielplan“ (etwas, was es meines Erachtens nicht gibt – und darüber hinaus, was er womöglich aus Sachzwängen von seinem Vorgänger zu übernehmen hatte) verantworten muß, ohne, dass seine persönliche Referentin hier in dieser Runde als Sprecherin vertreten ist ... wie auch der Intendant vom Klagenfurt Festival noch vor coronaverwirktem Amtsantritt 2020 Kritik hat einstecken müssen dafür, dass er es geschafft hat, zusätzliches Budget für die Kunst zu akquirieren und ein neues Festival auszurufen ohne vorher seinen Posten gendergerecht zur Diskussion zu stellen (etwas, was ich im Übrigen, wollte ich meine Visionen verwirklichen, im ersten Jahr auch nicht machen würde).
... Was also wäre, wenn wir: uns unbekannte Menschen, frische Gedanken, auch, wie im Fall des Klagenfurt Festivals, holprig geborene Festivals in der Region, dennoch engagiert begrüßen würden, wenn wir sie in einem ersten Schritt, Kraft unserer vorhandenen Qualitäten unterstützen und dann, ebenso natürlich wie selbstverständlich, erst nach einer ersten absolvierten Spielzeit, kritisch hinterfragen würden?
Was wäre, wenn wir nicht alle in unseren eigenen Sandkästen mit Budgets, die uns nicht richtig leben aber auch nicht wirklich sterben lassen, spielten?
Wenn wir – warum nicht in frauendominiertem Team - ein ambitioniertes, gemeinsames Projekt im Jahr realisieren würden? Etwas, das schon bald nicht mehr aus der Kärntner Kulturlandschaft wegzudenken wäre? In dem wir Inhalte und Besetzungen qualitätsvoll nach unseren Gesichtspunkten beispielhaft und Zeichen setzend verantworten und gestalten würden?
Was, wenn wir diejenige unter uns ohne Neid und Sabotagegedanken, die sich als Intendantin aufstellt und auch das Zeug dazu hat, mit einem gemeinsamen Plädoyer unterstützen würden?
Wenn wir Synergien bildeten, Infrastrukturen teilten, dialogfreundliche Strukturen und praxisorientierte Handlungsspielräume schaffen würden, die eine Inszenierung , etwa, von Alenka Hain oder Ute Liepold nicht nur an deren etablierten Spielorten in Kärnten sondern bereits in der Planung vorab anvisiert mit Gastspielen an anderen Kunstvenues im Land präsentieren würden?
Wenn wir ein flexibles, an Diversität und Know How orientiertes Denken an erste Stelle vor Hierarchie und Ruhm setzen würden?
Was wäre, wenn wir auf die Kraft des Zusammenhaltes in fragmentierten Zeiten setzen würden? Jetzt, wo wir einander fraglos brauchen, da keine von uns weiß, wie was und wo und mit welchen Budgets wir uns zukünftig überhaupt noch am Leben erhalten können?
Was, wenn wir Veränderung nicht als oberflächen-hübschende Makulatur sondern als tiefer gehendes Anliegen, zielorientiert im Sinne einer die Gesellschaft prägenden Veränderung formulierten?
Wenn wir positiv gestimmt blieben und das Fehlen einer gemeinsamen Vision mit der Erarbeitung einer gemeinsamen Vision kompensierten?
Wenn wir eine mehrsprachige, zeitgenössische, spannende, geschlechter-, nationen-, altersübergreifende, an Weltoffenheit, Diskurs und Dialog in Beton gegossene, autark agierende Utopie etablieren würden? Ein Etwas, das sich so schnell nicht mehr aus Kärnten wegdiskutieren und wegrationalisieren ließe?
Ich schließe mit dem Wunsch, dass es in Kärnten zukünftig besser gelingt, sich von einem überstrapazierten Konjunktiv hin zu einem lebendigen Indikativ zu bewegen.
[photos: web, büro für tanz theater | produktionen]
ENGLISH
Forum for Emancipatory Cultural Policy
On 19 November, the Forum for Emancipatory Cultural Policy took place, following and relating to the reading of Elena Messner's 'Nebelmaschine'. Due to Corona, the event was moved from the Musil House to the virtual space, where the participants – all considered as 'central voices of the discourse' by the organisers – presented their personal statements on the current state of affairs in regard to equal rights and inclusion in the Carinthian art scene. Starting from personal points of view, the position of women in the cultural and theatre scene of Carinthia was discussed and self-reflected upon and the sustainability of socially and politically critical actions and events was investigated.
We would like to thank the organisers Elena Messner, Eva Schörkhuber and Alina Zeichen as well as the supporters of KD Barba for this meaningful and forward-looking initiative.
Here the contribution by
Andrea K. Schlehwein.
What if...?
What if I went to Stadttheater Klagenfurt and were able to see a play by Sarah Kane, Dea Loher or Elfriede Jelinek? Or if I went to a concert where I could enjoy works by Galina Ustvolskaya, Sofia Gubaidulina or Chaya Czernowin? What if – as happened under the new ballet director of Wiener Staatsoper Martin Schläpfer when he was still in Düsseldorf – a premiere of a composer like Adriana Hölzky was being performed, accompanied by a contemporary ballet by the company's own dance ensemble? What if an opera by Olga Neuwirth were to be staged in Klagenfurt?
...and saying all this, I have not even outlined any utopia of the sort a director or dramaturge would come up with. I have merely started a little quality list, which would roll downhill like an avalanche, evoking astonishment and interest, enthusiasm and readiness for discourse among our curious and often underestimated Carinthian audience. An avalanche that would, naturally and emphatically, contain a high dose of female art and would, more than a hundred years later, send an appeal by Nadja Boulanger to the archives as an obsolete anecdote, which reads something like: 'Let's forget that I am a woman and let's talk about music instead'.
What if the designated female director of Wiener Volksoper – like Lotte van Beer – was not attacked by the press beforehand, while her colleague Kay Voges with his all too eager/rather pretentious programme was treated far more respectfully by the same journalist a few days later?
But at the same time – let's also look at ourselves – we had a similar case in Carinthia, where the new director of Stadttheater Klagenfurt is responsible for an uninspired yet not "patriarchal programme" (something which, in my view, does not exist – and moreover, something he possibly had to take over from his predecessor for practical reasons) without his female personal advisor being represented here in this round as a speaker... just like the artistic director of the Klagenfurt Festival was criticised even before his Corona-burdened inauguration in 2020 for having managed to acquire an additional budget for the arts and for having proclaimed a new festival without first putting his position up for discussion in a gender-appropriate way (something, which incidentally I myself would not do either during my first year if I wanted to realise my visions).
... So what if we were to enthusiastically welcome: people unknown to us, fresh ideas and also – as in the case of the Klagenfurt Festival – bumpily born regional festivals... if, as a first step, we were to support them by virtue of our existing qualities, and only then, after the completion of their first season would, naturally and as a matter of course, pose our critical questions?
What if we were not all to play in our own sandboxes, with budgets that do not really let us live not really let us die?
What if we – and yes, why not in a female-dominated collaboration – were to realise one ambitious, joint project every year? Something that would soon be an integral part of the Carinthian cultural landscape? That would allow us to design and take responsibility for content and casting according to our own high quality principles in an exemplary and agenda-setting way?
What if we were to support the one person amongst us who puts herself up as artistic director and also has what it takes to do so, without envy or thoughts of sabotage, but with a joint plea instead?
What if we would form synergies, share infrastructures, create dialogue-friendly structures and practice-oriented space for action, which would show a production by, for instance, Alenka Hain or Ute Liepold not only at their own established venues in Carinthia, but also as guest performances already aimed for during planning at other art venues in the region?
What if we were to prioritize a flexible way of thinking based on diversity and know-how over hierarchy and fame?
What if we were to build upon the power of cohesion in fragmented times? Now that we undoubtedly need each other, now that none of us knows how, what, where and with what budgets we will be even able to keep ourselves afloat in the future?
What if we formulated change not as a superficially pretty paper exercise but as a more profound concern, goal oriented in the sense of society-shaping change?
What if we remained positive and compensated for the lack of a common vision by working out a common vision?
What if we were to establish a multilingual, contemporary, exciting, gender, nation and age transcending, autonomously acting utopia with cosmopolitanism, dialogue and discourse as its fundament? Something that would not be easy to be argued and rationalized away from Carinthia?
I conclude with the wish that Carinthia will be better able to move from the overstrained subjunctive mood towards a lively indicative in the future.
[photos: web, büro für tanz theater | produktionen]