Andrea K. Schlehwein

Andrea K. Schlehwein
Videoportrait Andrea K. Schlehwein von finnworks
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von Anna Zampetti


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Wie einen biographischen Text schreiben, wenn sich der vorgenommene Lebenslauf der Linearität verweigert und zum jetzigen Zeitpunkt in die unterschiedlichsten Richtungen ausstrahlt? Er wird nicht gelingen, wird zwangsläufig unvollständig sein und das Dazwischen-Gemeinte verfälschen. Darum bitte ich die Leser*innen den vorliegenden Text als solchen zu lesen: unvollständig, falsch und situativ. Etwas über Andrea K. Schlehwein zu schreiben ist keine leichte Aufgabe, zumal man eine Menge unter- und Unterschiedliches zusammenbringen muss. Dennoch sitze ich nun hier, mit eben dieser Goliath-Aufgabe betraut.

Sie sei eine Einzelgängerin, schüchtern und am liebsten zurückgezogen. Mag man nicht glauben, wenn man sie sprechen hört und wohlwollend lächeln sieht. Beim Begriff „Sachenmacherin“ steigt man wieder ein – denn das ist und verkörpert sie.

Andrea K. Schlehwein – Künstlerin, Choreographin, Kuratorin, Dozentin, Schriftstellerin – alles Berufsbezeichnungen, die jeweils einen kleinen Teil, von dem abdecken, was ihr Schaffen ausmacht. Ihre home base befindet sich im Art Space, im pittoresk-kitschigen Stift Millstatt, wo sie gemeinsam mit Eleonore Schäfer einen Ort für zeitgenössische Kunst geschaffen hat, der mit seinem Programm und seiner Belebtheit in der Region ohnegleichen ist. Hier lebt, denkt, schreibt, konzipiert und vor allem auch organisiert sie. Am Tagesplan stehen ihre eigenen Produktionen, sowie in Kooperation entstandene Tanzstücke und Performances des Künstlerkollektivs NETZWERK AKS. Andrea K. Schlehwein betreut außerdem Künstler und Künstlerinnen aus allen Sparten und ermöglicht ihnen Zeit, Raum und eine Bühne für deren Arbeiten.

Den Ausgleich zur idyllischen Verschlafenheit in Kärnten findet Andrea K. Schlehwein in Seoul, Südkorea, wo sie seit 2012 im Kontext einer Honorarprofessur für Tanz an der renommierten National University of Arts unterrichtet. Die Arbeit mit den Studierenden, die sie in ihrem choreografischen und/oder tänzerischen Entwicklungsprozess begleitet, ist ihr eine Herzensangelegenheit, weil es eine „schöne Arbeit ist, bei der es nicht um mich geht“, wie sie sagt.

Zwischen den Welten und zwischen den Kulturen verortet sie sich und dabei ist sie in der Lage, das anzunehmen, was ihr Umfeld hergibt. In Kärnten sind es die Freiheit, die Weitläufigkeit des Blickes und des Denkens sowie eine produktive Einsamkeit/Einfachheit. In Seoul sind es die Geschwindigkeit, das Engagement, die Möglichkeiten: „Die Arbeits- und Lebensweise in Korea ist zu jener in Österreich völlig konträr. Manchmal sitze ich bei Arbeitszirkeln oder Konferenzen und zu Pausenbeginn springen plötzlich alle auf und rennen los, in einem Tempo, das man hier nicht begreifen würde. Mittlerweile habe ich auch gelernt einfach mit aufzuspringen und loszurennen und trotzdem bin ich immer die letzte, die sich hinterher wieder im Saal einfindet.“

Im Gespräch beginnen sich meine Gedanken zu ergänzen und ich glaube einen großen Unterschied zu erkennen: Womöglich ist das Sich-erklären-Müssen und das Verstanden-Werden beim einen ein ewig sich wiederholender Prozess, während es beim andren lediglich den Auftakt zu einer schnellen, intensiven Schaffensphase darstellt.

Wie bei allen, vielschichtigen Künstler*innenpersönlichkeiten, ist man gierig nach Biografischem und Vergangenem. Man hört und erfährt: Einen großen Teil ihrer Kindheit und ihre Jugend hat Andrea K. Schlehwein in Tokio verbracht. Dass sie da eine Art Zwischenidentität ausgebildet haben könnte, hilft ihr umfassendes Werk zu erfassen, das man durchaus als komplex bezeichnen kann, wobei diese Komplexität sich nicht aus realitätsentfremdenden Allüren zusammensetzt, sondern aus einer überzeugenden Diversität, einer inkludierenden Perspektivenvielfalt und eben auch einem transkulturellen und transdisziplinären Weitblick.

Durch verschiedenste Ausbildungen und Studien an unterschiedlichen Orten hat sie sich durchbewegt – Germanistik an der Universität zu Köln, Tanz und Choreographie bei Anzu Furukawa (Berlin / Tokio), Amanda Miller (Köln) und Graziela Padilla (Köln), Schauspiel bei John Costopoulos (Actor’s Studio NY). Dabei hat Schlehwein den Blick nach allen Seiten ausgerichtet und Bausteine aufgegriffen, die sie in ihren künstlerischen Fundus integriert hat, um ihr eigenes Ding daraus zu machen.

Gebunden sein war jedoch nicht ihr Ding und so hat sie sich nach sieben Jahren als Mitarbeiterin im Licht- und Tonstudio der Oper der Stadt Köln und als Assistentin der Sendeleitung/Fernsehen beim Westdeutschen Rundfunk Köln von den Institutionen und der Blickeinengung verabschiedet.

Tänzerin und Akrobatin war die einschlägige Berufsbezeichnung der nächsten Karrierephase von Andrea K. Schlehwein, als sie im Ensemble von Achim Freyer freiberuflich tätig war und dabei zwölf Jahre lang an vielen großen Häusern weltweit (der Los Angeles Opera, den Salzburger Festspielen, der Hamburgischen Staatsoper, der Deutschen Oper Berlin, der Oper Bonn, der Opera Narodowna in Warschau u.v.a.m.) auf und als Regisseurin und Choreografin auch vor der Bühne stand. Neben der Kollaboration in Regieteams für Oper und Musiktheater mit Persönlichkeiten wie Achim Freyer, Roland Aeschlimann u.a., hat Schlehwein auch intensiv mit Anouk Nicklisch zusammengearbeitet. Die Aufführung der Oper Giasone von Francesco Cavalli, die unter der Regie von Nicklisch 2004 am Klagenfurter Stadttheater Premiere hatte, wurde in einer Neubearbeitung der Inszenierung 2007 in Frankfurt auf die Bühne gebracht. Als enge Vertraute im Regieteam hatte Andrea K. Schlehwein die Neuerungen mitkonzipiert und so sah sie sich nach dem plötzlichen und unerwarteten Tod der Regisseurin vor Probenbeginn vor die Aufgabe gestellt, die Produktion im Sinne und im Gedenken von Anouk Nicklisch zu realisieren. Trotz oder gerade wegen des Erfolges der Frankfurter Inszenierung führte ein sich steigender Widerwille und eine innerliche Ablehnung dazu, dass Andrea K. Schlehwein der Opernbühne den Rücke kehrte, um ihrer Wege zu gehen. Ihr Weg führte sie schließlich nach Millstatt, wo die Galeristin Eleonore Schäfer sie einlud, im Stift Millstatt gemeinsam ein Kunstrefugium zu institutionalisieren. So entstand 2008 der Art Space, wo seitdem neben der Galerie unter der Leitung von Eleonore Schäfer das büro für tanz theater und produktionen, unter der Leitung von Andrea K. Schlehwein residiert.

Diese, nun seit einigen Jahren anhaltende, Veränderung hat ebenso ihr persönliches Verständnis des eignen Berufsbildes modifiziert. Die regionale Situierung zeitgenössischer, international ausgerichteter Kunst in einem ländlichen Tourismusort fordert von ihr neue Aufgaben(teilungen): „Ich muss mich als Person begreifbar machen, um den Menschen einen Zugang zu mir und zu dem was ich tue zu ermöglichen.“

Seit 2012 pendelt Andrea K. Schlehwein zwischen Österreich und Korea. Dem pädagogischen Eifer hat sie sich Zeit ihres Lebens verweigert, weshalb die Professur an der University of Arts lediglich zustande kommen konnte, weil „das Verweigerungsmoment als Charakteristikum“ ihres Unterrichts vom Gremium für Auslandsprofessuren akzeptiert wurde und, angesichts der andauernden Zusammenarbeit, offensichtlich von den Studierenden und der Universitätsleitung geschätzt wird.

Letztlich beweist ihr bisheriger Werdegang, dass Andrea K. Schlehwein Ideale nicht nur postuliert, sondern mit noch größerem Nachdruck lebt: Es gehe darum sein eigener Mensch zu werden denn „wenn du nicht dein eigener Mensch bist, bist du die Schablone von etwas“. Sie will nicht eng werden, sie will flexibel bleiben und die Menschen in ihrem Umfeld ihr Ding machen lassen. Der größte Antrieb bleibt die Lust am Arbeiten, eine Quelle, die nicht zu versiegen scheint.

Website Andrea K. Schlehwein: www.andreakschlehwein.com


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Andrea K. Schlehwein

video portrait of Andrea K. Schlehwein by finnworks
(click on image)


by Anna Zampetti

How to write a biographical text, if the CV in front of you refuses linearity and presently radiates in many different directions? It will not succeed, will inevitably be incomplete and distort what is meant between the lines. Therefore, I ask the readers to read the present text as such: incomplete, wrong and situational.

To write about Andrea K. Schlehwein is not an easy feat, as many things have to be included and different things have to be reconciled. Nevertheless, I am now sitting here, entrusted with this Goliath task.

She says she is a loner, shy and prefers to keep to herself. That's hard to believe when you hear her speak and see her smile benevolently. The term "Sachenmacherin" – "maker of things" gets you on board again – because that's what she is and that's what she embodies.

Andrea K. Schlehwein – artist, choreographer, curator, lecturer, writer – all job titles, each covering a small part of what makes up her work. Her home base is the Art Space in the picturesque, kitschy Millstatt monastery, where, together with Eleonore Schäfer, she has created a place for contemporary art whose programme and liveliness is unparalleled in the region. Here is where she lives, thinks, writes, conceives and, above all, organizes. The daily schedule includes their own productions, as well as dance pieces and performances created in collaboration with the artists' collective NETZWERK AKS. Moreover, Andrea K. Schlehwein supervises artists from all disciplines, giving them time, space and a stage for their work.

A counterbalance to the idyllic sleepiness of Carinthia lies in Seoul, South Korea, where Andrea K. Schlehwein has been teaching since 2012 in the context of an honorary professorship for dance at the renowned National University of Arts. Working with the students and accompanying them in their choreographic and/or dance development process is a matter close to her heart, because, as she says, it is "beautiful work that is not about me".

Andrea K. Schlehwein locates herself between worlds and cultures and in doing so is able to accept what her environment has to offer. In Carinthia, it is freedom, expansiveness of vision and thought, and a productive solitude/simplicity. In Seoul, it is the speed, the commitment, the possibilities: "The way of working and living in Korea is completely contrary to that in Austria. Sometimes I'm sitting in work circles or conferences and at the beginning of the break everyone suddenly jumps up and starts running, at a pace that you would not understand here. In the meantime, I also have learned to jump up and start running, and yet I am always the last one to find myself back in the room afterwards."

During the conversation, my thoughts begin to complement each other and I think I can see a big difference: Perhaps the need to explain oneself and being understood is an eternally repetitive process for one person, while for the other it is merely the prelude to a fast, intensive creative phase. As with all multi-layered artists, one is greedy for biographical details and the past. You listen and learn: Andrea K. Schlehwein spent a large part of her childhood and youth in Tokyo. The fact that she might have developed a kind of in-between identity there helps to grasp her comprehensive work, which can certainly be described as complex, although this complexity is not made up of unworldly affectations, but of a convincing diversity, an inclusive variety of perspectives as well as specifically a transcultural and transdisciplinary vision.

She has moved through a wide variety of training and studies in different places – German studies at the University of Cologne, dance and choreography with Anzu Furukawa (Berlin / Tokyo), Amanda Miller (Cologne) and Graziela Padilla (Cologne), acting with John Costopoulos (Actor's Studio NY). In doing so, Schlehwein directed her eyes to all sides and picked up building blocks that she integrated into her artistic toolkit in order to make her own thing out of them.

However, being tied down was not her thing, and so, after seven years as an employee in the light and sound studio of the Cologne Opera and as an assistant to the broadcasting director/television at Westdeutscher Rundfunk Köln, she said goodbye to the institutions and the restriction of views. Dancer and acrobat was the relevant job title in the next phase of Andrea K. Schlehwein's career, when she worked as a freelancer in the ensemble of Achim Freyer, performing for twelve years at many major houses worldwide (the Los Angeles Opera, the Salzburg Festival, the Hamburg State Opera, the Deutsche Oper Berlin, the Bonn Opera, the Opera Narodowna in Warsaw, and many more) on stage and also in front of it, as a director and choreographer. In addition to collaborating in directing teams for opera and music theatre with personalities such as Achim Freyer, Roland Aeschlimann and others, Schlehwein also worked intensively with Anouk Nicklisch. The performance of Francesco Cavalli's opera Giasone, which premiered at Klagenfurt Stadttheater in 2004 under the direction of Nicklisch, was staged in a new adaptation of the production in Frankfurt in 2007. As a close collaborator in the directing team, Andrea K. Schlehwein had helped conceive the new version, and thus, after the sudden and unexpected death of the director before the start of rehearsals, she found herself faced with the task of realizing the production in the spirit and memory of Anouk Nicklisch. Despite, or perhaps because of the success of the Frankfurt production, a growing reluctance and an inner rejection led Andrea K. Schlehwein to turn her back on the opera stage in order to go her own way.

Her path eventually led her to Millstatt, where the gallery owner Eleonore Schäfer invited her to jointly institutionalize an art retreat in the Millstatt monastery. Thus, in 2008, the Art Space was born, which since then, in addition to the gallery directed by Eleonore Schäfer, has been the home of the management office büro für tanz | theater | produktionen under the direction of Schlehwein.

This new situation, which has been going on for several years now, has also modified her personal understanding of her own professional profile. The regional placement of contemporary, internationally oriented art in a rural tourist town demands new (divisions of) tasks from her: "I have to make myself understood as a person in order to give people access to me and to what I do."

Since 2012, Andrea K. Schlehwein has been moving between Austria and South Korea. All her live, she has refused the pedagogical zeal, which is why the professorship at the University of Arts could only come about because "the aspect of refusal as a characteristic" of her teaching was accepted by the committee for foreign professors and, in view of the long-lasting cooperation, has obviously been appreciated by the students and the university administration.

Ultimately, her career so far proves that Andrea K. Schlehwein does not only postulate ideals, but lives them with even greater emphasis: It is all about becoming your own person because "if you are not your own person, you are the template of something". She does not want to become narrow, she wants to stay flexible and let the people around her do their thing. The biggest drive remains the desire to work, a source that does not seem to dry up.

translation: Roman Zotter

Website Andrea K. Schlehwein: www.andreakschlehwein.com

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