Andrea K. Schlehweins neueste Produktion – ein offizieller Beitrag zum Baukulturjahr Kärnten 2021
ein Text von Anna Zampetti über die Premiere am 29. Juni 2021 | PLEASE SCROLL DOWN FOR ENGLISH |
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Anordnungsversuch Versuchsanordnung
Andrea K. Schlehweins neuestes Stück ist eine Einladung zu einer tänzerisch-architektonischen Raumerkundung, die es zustande bringt, persönliche Entgrenzung und kollektive Geborgenheit in Einem anzubieten. Die physische und geistige Präzision der Tänzer*innen kulminiert in ästhetischer Leichtigkeit, sodass man als Zuseher*in nur allzu gern in ein tranceartiges Mit-Fühlen und Mit-Begreifen des Raumes geraten möchte.
IN + EX | situ ist ein choreographischer Beitrag in der Reihe
KULTUR RAUM LANDSCHAFT / Baukulturjahr 2021 des Landes Kärnten, in dem unterschiedlichste Künstler*innen sowie Wissenschaftler*innen ihren je eigenen, in der Tradition ihrer Disziplin stehenden, Zugang zu Architektur und Raum präsentieren. In diesem Rahmen versteht sich
IN + EX | situ als „dem TANZ Experiment verpflichtete Versuchsanordnung, die die Nähe zu Gedanken aus dem Feld der Architektur sucht“, so die Choreografin.
Das Ich im Außenraum verortet sich
Als Zuseher*in im vermeintlich sicheren Zuseher*innen-Raum ist man in gewohnt voyeuristischer Manier sofort gewillt diese Anordnung zu entziffern und ihr ein schablonenartiges „So-ist-die-Welt“ drüber zu stülpen.
Doch ehe ich’s mich versehe, bricht ein Element aus, das Zentrum wird destabilisiert, das System verschiebt sich und schafft Leerraum für Neues. Als Zuseher*in bleibt man nicht lange im Außen, sondern wird Teil der Versuchsanordnung, die Andrea K. Schlehwein an historisch vollgesaugten Orten und doch ganz klar aus dem Hier und Jetzt der unmittelbaren Beiläufigkeit entstehen lässt. Sie transformieren zu Räumen, die trotz ihrer überwältigenden Geschichtsträchtigkeit, die je individuelle Lebensfülle integrieren und respektieren. Man wird dazu eingeladen die Grenzen des Raumes zu überschreiten und die zwischenmenschlichen Barrieren, die gerade in den letzten Monaten so präsent waren, in dieser inkludierenden Komposition aufzulösen.
Der Außenraum im Innenraum im Binnenraum
Ein Einatemzug hebt den Brustkorb von 6 Tänzer*innen, die im Gleichklang atmen,
während ich den Atem anhalte. Unita Gay Galiluyo, Andrea Maria Handler, Alina Jacobs, Jye Hwei Lin, SeungHwan Lee und WooSang Jeon finden sich trotz oder gerade wegen ihrer unterschiedlichen, individuellen Räumlichkeit in einem gemeinsamen Gleichgewicht wieder. Sie setzen kraftvoll an und in ihrer Entschiedenheit gleichen sie einem Orkan, der die Entropie herbeisehnt. Doch dann das eigentlich Bemerkenswerte, wenn sie sich am Berührungspunkt, hauchdünn, auf einen sanften Dialog mit der Umgebung einigen. Erneut wird ein inkludierender Raum eröffnet, der sich netzartig von Individuum zu Individuum spannt, Gedankenwelten hereinlässt und sich dadurch, nicht sichtbar, aber spürbar, dehnt. Es ist ein Raum, der die Überschreitung nicht scheut und die Grenzen lediglich als Momentangebot begreift. Genau wie die Tänzer*innen selbst ist der Raum in der Lage, sich seinem eigenen und dem gemeinsamen Zentrum zu entziehen. Er darf, sie alle und wir alle dürfen, was uns unsere Wahrnehmungsgewohnheit nicht unmittelbar anbietet: ausbrechen und sich einem produktiven Dekonstruktionswillen hingeben, der eine neue, vorübergehende Ordnung schafft, dessen verbindlichen Mittelpunkt man vergeblich sucht.
Den pathetischen Beigeschmack ob der Schaulust ignorierend, möchte ich an dieser Stelle von einem ästhetischen Befreiungsakt sprechen, der nichts verlangt, doch alles erlaubt.
Die Choreographie von Andrea K. Schlehwein ist all das aus nur einer Perspektive und aus allen anderen zusätzlich noch so viel mehr. Sie lädt nicht nur zum Dialog ein, sondern fordert diesen geradezu heraus.
In + Ex | situ ist KEINE Erforschung des Raumes, nicht im Sinne eines sezierenden Sich-zu-Eigen-Machens. Es ist viel eher ein konspirierender Tanz auf Augenhöhe, der die Vielstimmigkeit im und mit dem Raum zulässt und die unterdrückende Stabilität von normierenden (Raum-)Ordnungen grinsend herausfordert.
ENGLISH
IN + EX | situ
the latest production by Andrea K. Schlehwein.
An official contribution to Baukulturjahr [Year of Building Culture] Carinthia 2021
by Anna Zampetti, attending the premiere on 29th of June 2021
Setup experiment, experimental setup
Andrea K. Schlehwein's latest production is an invitation to explore space through dance and architecture that achieves to offer a dissolution of personal boundaries and a feeling of collective comfort at once. The physical and mental precision of the dancers culminates in aesthetic lightness, instilling in the spectator the desire to enter a trance-like co-sensing and co-grasping of the space.
IN + EX | situ is a choreographic contribution to the series KULTUR RAUM LANDSCHAFT [Culture Space Landscape] / Baukulturjahr 2021 initiated by the province of Carinthia, in which a wide range of artists and scientists, each in the tradition of their own discipline, present their own approach to space and architecture. In this context, IN + EX | situ, according to the chorepgrapher, is “an experimental setup committed to the DANCE experiment that seeks proximity to concepts from the field of architecture”.
The I locating itself in the outside space
Watching from within the seemingly safe audience space and in the usual voyeuristic manner one is immediately tempted to decipher this arrangement and to superimpose it with a generic "That's the way the world is". But soon enough an element breaks out, the center is destabilized, the system shifts and opens a vacant space for something new. The spectator does not remain on the outside for long, instead becoming part of the experimental setup that Andrea K. Schlehwein brings forth in these spaces saturated with history, yet clearly from the here and now of casual immediacy. They transform into spaces that, despite their overwhelming historical weight, integrate and respect each one's individual fullness of life. We are invited to transgress the spatial boundaries and to let interpersonal barriers, which have been so prevalent in these past months, be dissolved in this inclusive composition.
The outside space in the inside space in the inner space
One inhalation lifts the chest of 6 dancers who breathe in unison while I hold my breath. Unita Gay Galiluyo, Andrea Maria Handler, Alina Jacobs, Jye Hwei Lin, SeungHwan Lee and WooSang Jeon find each other in a common equilibrium despite or perhaps because of their different, individual spatialities. They set off powerfully, in their decisiveness resembling a hurricane that longs for entropy. But truly remarkable is when they agree, at the point of contact, paper-thin, on a gentle dialogue with the environment. Once again an inclusive space is opened up that spans like a web from individual to individual, welcoming thoughts and thereby invisibly, yet perceptibly expanding. It is a space that does not shun transgression and conceives boundaries merely as a temporary proposition. Just like the dancers themselves, the space is able to withdraw from its own as well as from the shared centre. It, they and we all can do what our perceptual habit does not immediately afford us: to break out and indulge in a productive desire to deconstruct, creating a new, temporary order whose binding centre is sought for in vain.
Ignoring the melodramatic aftertaste of voyeurism, at this point I would like to speak of an aesthetic act of liberation that demands nothing, but allows everything.
Andrea K. Schlehwein's choreography is all that from just one perspective and so much more from all the others. It does not only invite dialogue, it downright demands it.
In + Ex | situ is NOT an exploration of space, at least not in the sense of a dissecting appropriation. Rather, it is a conspiratorial dance at eye level that allows polyphony in and with the space and grinningly challenges the oppressive stability of normative (spatial) orders.
CREDITS
IN + EX | situ
Andrea K. Schlehwein + NETZWERK AKS
Konzept . Choreographie . Sound . Raum . Licht
Andrea K. Schlehwein
TANZ + Kreation | NETZWERK AKS . Platform for Contemporary Dance + Art
Unita Gay Galiluyo | Philippinen
Andrea Maria Handler | Österreich
Alina Jacobs | Niederlande
Jye Hwei Lin | Taiwan
SeungHwan Lee | Korea
WooSang Jeon | Korea
Fotos
Jo Hermann
AKS
Martin Schinagl
Produktionsbüro
büro für tanz | theater | produktionen 2021
weitere Vorstellungen | next performances
IN + EX | situ
27 + 28 August 2021 @ART SPACE stift millstatt
16 September 2021 (excerpt) @Stift Ossiach
Kontakt . Tickets . Information
Andrea K. Schlehwein . büro für tanz | theater | produktionen
aks.office@andreakschlehwein.com
+43 4766 35250 | +43 676 782 9753
IN + EX | situ
Andrea K. Schlehwein + NETZWERK AKS
ist ein Beitrag zu KULTUR RAUM LANDSCHAFT / Baukulturjahr 2021 des Landes Kärnten, in Kooperation mit dem Fachbeirat Baukultur des KKG.
Andrea K. Schlehwein + NETZWERK AKS
erhielten 2020 einen Anerkennungspreis des Landes Kärnten für besondere Leistungen in Kunst und Kultur Kärnten. Das international besetzte Künstlerkollektiv hat seit 2008 seine home base im ART SPACE stift millstatt, hier werden Premieren herausgebracht, Repertoireproduktionen wieder aufgenommen, mit der O.P.E.N. morning class Tanztrainings für Profis und Begeisterte angeboten, Residenzkünstlerinnen eingeladen, ein Jahresprogramm Tanz ausgerichtet ... und vieles andere mehr.
Konzepte, BLOG, Aquise von Budgets, Produktionsbüro erfolgen durch den think tank und das Management büro für tanz | theater | produktionen.
Mit insgesamt fünf Koproduktionspartnern von Slowenien über die Baukultur Kärnten bis zur Nationalen Kunst Stiftung Taiwan, geht das von Schlehwein geführte Produktionsbüro [büro für tanz | theater | produktionen] auch international gut aufgestellt durch dieses Jahr.
Wir möchten uns bei allen Subventionsgeberinnen 2021 BMKOES, Land Kärnten Kultur, Marktgemeinde Millstatt, Freunden wie den ÖBF, allen Koproduktionspartnerinnen bedanken.
ENGLISH
IN + EX | situ
Andrea K. Schlehwein + NETZWERK AKS
is a contribution to KULTUR RAUM LANDSCHAFT /
Baukulturjahr 2021 Province of Carinthia, Austria
in cooperation with the Advisory Board for Building Culture of KKG.
Andrea K. Schlehwein + NETZWERK AKS
received a recognition award in 2020 from the province of Carinthia for special achievements in the arts and culture. Since 2008, the international artist collective has had its home base at ART SPACE stift millstatt, where dance productions are premiered, repertoire productions are restaged, dance training for professionals and enthusiasts is offered in the O.P.E.N. morning class, resident artists are hosted, an annual program for dance is organized... and much more.
Concepts, BLOG, budget acquisition and production office are carried out by the think tank and management office büro für tanz | theater | produktionen.
With a total of five co-production partners, from Slovenia to Baukultur Kärtnen to the National Culture and Arts Foundation Taiwan, the production office led by Schlehwein [büro für tanz | theater | produktionen] is well-positioned internationally this year.
We would like to thank our funders for 2021: BMKOES, Land Kärnten Kultur, Marktgemeinde Millstatt, as well as friends like the ÖBF and all co-production partners.