English text: Maja Mirek . Translation to German: Roman Zotter . Photos: NETZWERK AKS
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6 Tage, 10 Kameras, 10 Performer, 1 Choreographin, 1 Idee, 7 Minuten Improvisation, zahllose Verknüpfungen
Am 10. Oktober begannen wir mit der Arbeit an
too many heroes, einer der größten NETZWERK AKS-Produktionen von 2021, die als Teil der Ausschreibung „Von der Bühne zum Video“ ein begehrtes Sonderstipendium des BMKOES erhielt. Im Gegensatz zu früheren Produktionen handelt es sich diesmal um eine Filmproduktion, durchgeführt von Five Elements Films GmbH.
Ausgangspunkt des Projekts war die Notwendigkeit, auf die unkalkulierbare gesellschaftspolitische Situation, die Krise der Weltbilder und die Unmöglichkeit, Fakt von Fiktion zu unterscheiden, aufmerksam zu machen. Der Zugang zum Internet und zu Informationen in Echtzeit hat zu einer Zunahme von im öffentlichen Raum zirkulierenden Nachrichten geführt, die sich schlichtweg als unwahr herausstellen. Angereichert mit Fotos oder Filmen führen sie zu mannigfaltigen Missverständnissen in der virtuellen Welt, und wie uns die Erfahrung gelehrt hat, ist es ein Ding der Unmöglichkeit, die Verbreitung virtueller Informationen aufzuhalten.
Andrea selbst drückt dies im Zusammenhang mit ihrem Projekt so aus: „Aspekte, was dokumentarisch, was journalistisch belegt, was manipuliert, was Alltagsrealität ist, was Kunst und künstlich erzeugte Landschaften abbildet, spielen eine untergeordnete Rolle. too many heroes stellt imaginierte Sequenzen in einen fest umrissenen Aktionsraum, der nicht in einem Innenraum liegt, überprüft Impulse und Reflexe und spiegelt gehetzte Situationen in einer tänzerischen, dynamischen Versuchsanordnung in viralen Bildern, die eine der möglichen Wirklichkeiten simulieren.“
Schon während des ersten Gesprächs mit Andrea wurde mir klar, dass zahlreiche Verbindungen zwischen dem Themenkreis von
too many heroes und der aktuellen politischen Situation in Polen bestehen. Für Andrea war der Brennpunkt der erfolgreiche Militärputsch in Myanmar im Februar dieses Jahres. Die Revolution fand in Myanmar auf den Straßen der Städte, im Internet, in der Musikszene sowie in den Köpfen der Menschen statt. Die Demonstranten hatten brillante Ideen zur Erlangung weltweiter Aufmerksamkeit und Solidarität. Die Junta - Gewehre und Panzer.
In Polen, meinem Heimatland, werden an der Grenze zu Weißrussland seit mehreren Wochen Einwanderer auf der Suche nach Zuflucht festgehalten. Sie erhalten in Weißrussland kein Asyl und versuchen daher, zu Fuß illegal über die Grenze zu gelangen, um dann entweder weiter nach Westen zu reisen oder vor Ort Hilfe zu finden. Vor wenigen Tagen hat nun der polnische Staat ein Gesetz über den Bau einer Mauer verabschiedet, um die Grenzüberquerung von Einwanderern nach Polen zu verhindern. Außerdem wurde an der Grenze der Ausnahmezustand verhängt, was eine Kontaktaufnahme zur Flüchtlingsgruppe unmöglich macht. Es ist jetzt nicht mehr möglich, eine humanitäre Mission, auch nicht mit medizinischer Grundversorgung, in die Wälder zu entsenden, in denen die Menschen seit mehreren Wochen festsitzen. Die Zahl der Todesopfer steigt, darunter auch Kinder. Mein Glaube an die Menschheit wurde in letzter Zeit auf die Probe gestellt, weshalb mich eine derart absurde Situation, die jegliche Empathie missen lässt, tief enttäuscht, und ich kaue immer noch am bitteren Geschmack des menschlichen Zustands.
Andreas Kunst ist oft auch politisch engagiert und
too many heroes ist dafür ein Beispiel. Es hat mich daher besonders gefreut, dass wir unsere Zusammenarbeit mit einem Gespräch im Team starteten, bevor wir zu prozessbasierten Proben übergingen. Die Auseinandersetzung mit einem so schwierigen Thema erfordert die Schaffung eines sicheren Rahmens für den Austausch von Erfahrungen. Das NETZWERK AKS ist darin beispielhaft. Dies war meine erste (und hoffentlich nicht letzte!) Produktion. Die Personen in und um das Projekt sind ein Team, unglaublich empathische und aufgeschlossene Künstler.
Unsere Crew, die von Andrea K. Schlehwein (Konzept, Regie und Choreographie) geleitet wurde, bestand aus 6 Tänzern (Leonie Humitsch, Alina Jacobs, Maria Mavridou, Rosalie Wanka, Ting An Ying und Maja Mirek), 1 Schauspieler (Kai Möller), 3 Allround-Performern (Martin Schinagl, Roman Zotter und Stanislaus Kernjak), der Produktionsleiterin (Eleonore Schäfer), der Praktikantin und Kostümassistentin (Laura Rossbacher), der Koordinationsleiterin (Brigitte Büsken) sowie dem Team von Five Elements Film mit 5 Kameramännern und -frauen.
Den ersten Tag starteten wir mit einem gemeinsamen Frühstück und einem Gespräch über das Projekt. Nachdem wir uns alle kennengelernt hatten, gab uns Andrea eine ausführliche Beschreibung des Projekts. Auf dem Tisch stand ein Miniaturmodell des Aktionsfeldes – kleine Figuren, mit unseren Namen versehen, und ein detaillierter Raumplan für jeden von uns – Abhängigkeiten, Ursache-Wirkungs-Abfolgen, basierend auf dem Spiel zwischen Kamera und Darsteller.
An drei aufeinander folgenden Tagen improvisierten wir 10 Performer gemeinsam im Studio, auf der Suche nach Darstellungen eskalierender Konflikte, Ausschreitungen, wie es ist, sich zur falschen Zeit am falschen Ort zu befinden.
Am Beginn der ersten drei Tage stand jeweils ein gemeinsames Warm-up, geleitet von Andrea und Alina. Nachdem wir unsere Körper in Bewegung gebracht und verborgene Energien geweckt hatten, begannen wir mit der Arbeit. In diesem sehr spezifischen Projekt war kein Platz für festgelegtes Tanzmaterial, es gab nur Improvisationen auf Basis eines Grundgerüsts, des sogenannten Aktivitätenpools. Wenn wir erkannten, dass bestimmte Bewegungs-Performance-Lösungen funktionieren, versuchten wir, sie im Kopf zu behalten und im Aktionsfeld zu wiederholen. Die Bewegungsqualitäten wurden unter anderem von einem Text inspiriert, den Andrea speziell für das Projekt geschrieben hatte:
rennen fallen hechten Schutz suchen sich drehen spiralen zu Boden gehen zu Boden geworfen werden umarmen ersticken entfliehen sich verstecken Berührung suchen in Deckung gehen nicht wissen wohin Orientierung verlieren jemandem nachlaufen am Boden tanzen sich dranhängen sich loslösen allein sein wollen nicht können nicht allein sein wollen nicht können permanent wechselnde Konstellationen keine passt für länger als eine halbe Minute hochdynamische Positionswechsel im Raum nur scheinbar motiviertes Handeln über unsichtbare Gräben springen zielgerichtet ohne Sinn zu ergeben Barrikaden ohne Material errichten explodieren sich aus dem Unbewusstsein empor grabende Gruppendynamik zu zweit zu dritt zu viert zu fünft zu sechst zu siebt zu acht Sinnsuche im Pulk auf Asphalt Moleküle in chemischer Reaktion in Außenaufsicht spiegelt Innenperspektiven haltloser Zustände
Wir improvisierten als Gruppe und bekamen Feedback von außen. Wir sprachen oft darüber, wie wir uns fühlten, was unsere Rolle war. In der Pause aßen wir eine gemeinsame Mahlzeit, zubereitet von Brigitte, und warteten dann ungeduldig auf den Kaffee, den wir uns während dieser Produktion in rauen Mengen in die Kehle kippten. Bei aller Ernsthaftigkeit der Materie und aller Professionalität hatten wir gute Laune und die für diesen Prozess nötige Distanz.
Nach drei Tagen des intensiven Probens wechselten wir den Standort von den magischen Räumen des ART SPACE stift Millstatt, der sich in einem alten Kloster befindet und in dem das NETZWERK AKS seine Basis hat, zum Drehort – einer Fabrikhalle und einem Parkplatz in der Stadt Spittal.
Wir hatten Glück mit dem Wetter und drehten den Film bei strahlendem Sonnenschein, der mehrere Meter lange Schatten auf den Asphalt warf. So entstand ein Mosaik aus sich drehenden Körpern, gesehen aus der Vogelperspektive – der Perspektive einer Drohne.
Eine der größten Herausforderungen in diesem Projekt war die Arbeit mit der Kamera. Während wir Tänzer es gewohnt sind, auf der Bühne zu stehen, wo die Beziehung zwischen Darsteller und Publikum offensichtlich ist, ist die Beziehung zum potenziellen Zuschauer beim Filmen dynamischer. Sich vorstellen, wie der Bildausschnitt einer bestimmten Kamera beim Filmen aussieht, welches Ausmaß und welche Art von Beziehung man zur jeweiligen Kamera haben will und daran denken, dass sich 9 weitere im Umfeld befinden. Natürlich hängt alles auch von der Postproduktion ab, also haben wir alle versucht, uns beim Tanzen nicht nur zu bewegen, sondern uns Gesichter, Augen, Gesten zu merken, wir haben uns vorgestellt, wie ein bestimmter Bildausschnitt aussehen könnte, aus welchem Blickwinkel wir gefilmt werden, was von der Kamera eingefangen wird, wie schnell die Kamera uns folgen kann usw.
Abgesehen von den technischen Aspekten mussten wir unsere Rollen als Revolutionäre beibehalten und offen für die Interaktion mit anderen Performern sein. Eine solche Erfahrung schärft definitiv den Sinn für Propriozeption und Vorstellungskraft.
Dies war sicher die schwierigste Phase der Produktion.
Ich bin extrem beeindruckt von der Organisation und Verlässlichkeit der Produktion und gleichzeitig unglaublich dankbar, dass ich Teil von
too many heroes sein durfte. Von Anfang bis Ende waren stets die Arbeitsmaterialien vorbereitet, Transport, Unterkunft und Verpflegung akribisch geplant. Die komplexe, tiefgreifende und flexible Arbeit dieses Teams wäre mit leeren Mägen unmöglich gewesen und so waren wir alle dankbar für die tägliche warme, gesunde gemeinsame Mahlzeit – zubereitet von Brigitte Büsken unter dem Label Table 13. Ich bin voller Bewunderung für das gesamte Team, und dass es uns unter Andreas Leitung gemeinsam gelungen ist, einen sicheren Rahmen für Erkundungen zu schaffen, urteilsfrei, stattdessen mit Akzeptanz und Verständnis, was genau das ist, woran es in dieser modernen Welt so sehr mangelt.
Ich freue mich auf die Filmpremiere von
too many heroes, die für Ende 2021 geplant ist, und gleichzeitig hoffe ich, dass wir uns in Millstatt wiedersehen werden, um an der Bühnenfassung von
too many heroes zu arbeiten.
Echte Helden tragen keine Umhänge, sagt man. Ich kann Ihnen versichern, dass es bei NETZWERK AKS heimlich eine ganze Reihe davon gibt.
ENGLISH
6 days, 10 cameras, 10 performers, 1 choreographer, 1 idea, 7 minutes of improvisation, countless affiliations
On the 10th of October, we started the creation of
too many heroes, one of the biggest NETZWERK AKS production in 2021, which received a coveted special grant from the BMKOES as part of the series 'From Stage to Video'. Unlike previous ones, this one is a film production, carried out by Five Elements Films GmbH. The production was triggered by the need to draw attention to the incalculable socio-political situation, the crisis of worldviews and the impossibility of distinguishing fact from fiction. Access to the internet and information in the here and now has led to an increase in the amount of news circulating in the public domain that simply turns out to be untrue. Enriched with photos or films, they lead to numerous misunderstandings in the virtual world, and as we already know from experience, it becomes impossible to stop virtual information from spreading.
Andrea herself puts it this way about her project: "Aspects of what is proven by way of documentary, journalism, of what is manipulating, of what is everyday reality, of what depicts art and artificially created environments play a subordinate role.
too many heroes situate imagined sequences in a clearly defined space of action (which is not in an inside space), investigate impulses and reflexes and depicts agitated situations in a dynamic experimental dance arrangement in viral images that simulate one of the possible realities".
During the first talk with Andrea I realised there were many connections between what
too many heroes is about and the current political situation in Poland. For Andrea, the flashpoint was the successful coup d'etat in Myanmar in February this year. The revolt took place in the streets of cities, on the internet, in the music scene and in the minds of people. Protesters had brilliant ideas for world attention and solidarity. The junta - guns and tanks. In Poland, my homeland, for several weeks, immigrants have been detained on the border with Belarus, seeking shelter. They have not been granted asylum in Belarus, and are therefore trying to enter our country on foot, illegally, in order to either travel further to the West or find help here. A few days ago, the Polish State voted through a law to build a wall to prevent immigrants from entering Poland. In addition, they introduced a state of emergency at the border, making contact with the refugee group impossible. It is no longer possible to send a humanitarian mission, even one with basic medical care, to the forests where people have been 'trapped' for several weeks. The death toll is rising, and among them are children. My faith in humanity has been put to the test in recent times, which is why such an absurd situation, devoid of empathy, left me disappointed and I am still swallowing the bitterness of the human condition.
Andrea makes also politically engaged art and
too many heroes is one example. That's why I was so happy when we started our collaboration by talking together and then moving on to process-based rehearsals. Exploring such a difficult subject requires creating a safe space to share experiences, of which NETZWERK AKS is an example. This is my first (and hopefully not last!) production. The people involved in and around the project are a team, incredibly empathetic and open- minded artists.
Our crew, which was led by Andrea K. Schlehwein (concept, regie and choreography), consisted of 6 dancers (Leonie Humitsch, Alina Jacobs
Maria Mavridou, Rosalie Wanka, Ting An Ying and Maja Mirek) 1 actor (Kai Möller), 3 all round performers (Martin Schinagl, Roman Zotter and Stanislaus Kernjak), the head of production (Eleonore Schäfer), the intern and costume assistant (Laura Rossbacher), the head of coordination (Brigitte Büsken) and the team of Five Elements Film with 5 camera men and women.
On the first day, we started by having breakfast together and talking about the production. We all got to know each other, then Andrea went on to describe the project in detail. On the table was a model of the field of action - figures with our names, for each of us there was a detailed plan of the space - dependent relations, cause-effect sequence, based on the game between the camera and the performer.
For 3 consecutive days, we improvised together with 10 performers in the studio, looking for representations of escalating conflicts, riots, being in the wrong place at the wrong time.
We started the first 3 days with a common warm-up led by Andrea and Alina. After getting our bodies in motion and waking up the hidden energy, we started to work. As this is a very specific project there was no place for set material, only improvisation based on the structure, so-called the pool of activities. If we knew that certain movement-performance solutions worked, we tried to keep them in mind and repeat them in the field of action. The movement qualities were inspired, among other things, by a text that Andrea specifically wrote:
running falling diving seeking shelter spinning spiralling going to the ground being thrown to the ground embracing suffocating escaping hiding seeking touch seeking cover not knowing where losing orientation running after someone dancing on the ground hanging onto something detaching oneself longing to be alone not being able fearing to be alone not being able permanently changing constellations none the right one for longer than half a minute highly dynamically changing position in space just seemingly motivated action jumping over invisible trenches purposefully without meaning erecting barricades without material exploding group dynamics rising up from the subconscious in twos in threes in fours five six seven eight in search of meaning in a throng on asphalt molecules in chemical reaction in external supervision mirroring internal perspectives of unfounded conditions
We improvised as a group getting feedback from outside. A lot of the time we talked about how we felt, what our role was. During the break we ate a meal together, prepared by Brigitte, and waited impatiently for the coffee, which we poured down our throats quite a lot during this production. For all the seriousness of the subject matter and the professionalism, we were in good spirits and with the distance that was necessary for this process.
After 3 days of intensive rehearsals, we changed the location from the magical space of the ART SPACE stift millstatt in an old monastery where NETZWERK AKS is based, to the shooting set - a production hall and parking slot in the town of Spittal.
Fortunately, the weather was good and we shot the film in beautiful sunshine, which cast shadows several metres long on the asphalt, creating a mosaic of spinning bodies, seen from a bird's eye view - a drone.
This time one of the biggest challenges was working with the camera. As we dancers are used to being on stage, where the spectator-performer relationship is obvious, so when filming, the relationship with the potential viewer is more dynamic. Imagining what the frame of a particular camera looks like when we are filming, to what extent, what kind of relationship we want to have with one camera at a time, remembering that there are 9 more in the space. Of course, a lot depends on post-production, so we all tried not only to move while dancing, but to remember faces, eyes, gestures, we imagined how a given film frame might look like, from what angle it films us, what is in its range, how fast it can follow us etc. Leaving aside the technical aspect, we still had to maintain our roles as revolutionaries and be open to interacting with other performers. Such an experience definitely sharpens the sense of proprioception and imagination.
This was definitely the most difficult phase of the production.
I am extremely impressed by the organisation and reliability of the production and at the same time incredibly grateful that I could be part of
too many heroes. From the beginning to the very end, the materials for the work were always prepared, transport, accommodation and catering meticulously planned. The complex, profound and flexible work of this team could not have run on empty stomachs and so everyone was grateful for the daily warm and wholesome joint meal, prepared by Brigitte Büsken under the label Table 13. I am full of admiration for the whole group that together, under Andrea's direction, we managed to create a safe space for exploration without judgement but with acceptance and understanding,which is exactly what is so lacking in the modern world.
I am looking forward to the film premiere of too many heroes, which will take place at the end of 2021, at the same time I hope that we will meet again in Millstadt, this time working on the stage version of too many heroes.
They say that real heroes don't wear capes, I can assure you that there are quite a few of them undercover at NETZWERK AKS.